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Florian Berg
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Mit dem Fahrrad bis ans Ende der Welt - Der Unterricht des Lebens

Zugegeben, die Überschrift klingt ein wenig verrückt. Und tatsächlich ist „You are crazy!“ einer der Sätze, die ich fast täglich höre. Bis ans Ende der Welt – wo soll das sein? Es kommt auf die Perspektive an. Meine Heimat ist Bürvenich, ein Tausend-Seelen-Dorf in der Voreifel. Heute bin ich in Pinedale, einem doppelt so großen Ort im US-Bundesstaat Wyoming – nahe des Yellowstone-Nationalparks. Wie ich hierherkam? Mit dem Fahrrad. Über einen „kleinen“ Umweg von 34 Tausend Kilometern, vier Kontinenten und das größte Abenteuer meines Lebens. Wie wird man so verrückt, die Welt mit dem Fahrrad umrunden zu wollen? Ich glaube, es war eine glückliche Verkettung von Umständen. Ich bin Wissenschaftler, getrieben von Neugier – und durch den Stress meines Chemiestudiums habe ich mich 2018 aufs Rad gesetzt. Meine erste Tour von Jülich nach Berlin war aufgrund meiner Unerfahrenheit alles andere als komfortabel. Trotzdem habe ich mich in diese Form des Reisens unsterblich verliebt. Auf meiner zweiten Tour durch Skandinavien saß ich an einem See in Schweden und fragte mich: „Wie weit kann man fahren? Kann man den Planeten umrunden?“ Diese Idee wurde schnell zu meinem Lebenstraum. Nach acht weiteren Radtouren mit maximaler Tourenlängen von 28 Tagen, einem abgeschlossenen Studium und inzwischen über 15 Monaten auf dem Rad kann ich sagen: Ja, man kann und es ist erstaunlich wie weit einen 2 Räder, Mut und Neugier tragen können.

 

Am 3. März 2024 startete ich in meinem Heimatdorf. Zunächst quer durchs vertraute Deutschland nach München, dann über die österreichischen Alpen nach Italien, durch Slowenien, den Balkan und Griechenland bis in die Türkei – Istanbul: das Tor zu Asien. Es folgten Georgien, Kasachstan, die usbekische Wüste, das Pamirgebirge in Tadschikistan, wo ich mit Mitradlern den 4.655 Meter hohen Ak-Baital-Pass bezwang. Weiter durchs saftig grüne Kirgistan, befremdliche China, ein ungeplanter längerer Aufenthalt in Pakistan mit Geschichten, die so absurd sind, dass sie mir kaum jemand glaubt. Dann Indien mit meinem Lieblingsessen, das bitterarme Nepal, Vietnam, Laos, Kambodscha, Thailand, Malaysia, Singapur – 27 Länder bilden das erste große Kapitel meiner Reise – Eurasien. Ozeanien als Teil zwei beginnt mit einer 3000 km langen Durchquerung des glühend heiße Outback Australiens im Hochsommer, dann entlang der Ostküste über Sydney, Canberra und Melbourne bis nach Tasmanien, gefolgt vom wunderschön bergigen Neuseeland. Und nun befinde ich mich im dritten Kapitel nachdem ich die Wildnis Alaskas und Kanadas mit ihren Grizzlies bezwungen habe und gerade entlang der Rocky Mountains in den USA Richtung Mexiko steuere.

 

Ich habe so ziemlich alles erlebt: Wüsten, Tropen, arktische Tundra. Temperaturen zwischen -18 °C und +46 °C. Ich weiß, wie sich echter Hunger anfühlt – und richtiger Durst. Doch warum all das mit dem Fahrrad? Weil es Freiheit bedeutet. Ich schlafe zu 99 % im Zelt, koche mein eigenes Essen – das Reisen ist dadurch extrem günstig. Ein Monat auf dem Rad kostet weniger als meine Miete in Deutschland. Die größten Ausgaben fallen für Visa und Flüge an, um die Weltmeere zu überwinden und natürlich für meinen Motor – Essen. Ich fahre kein E-Bike – das wäre in abgelegenen Regionen weder praktikabel noch aufladbar. Alles geschieht aus eigener Kraft – ein Gefühl, das unendlich befreit. Und Freiheit ist das Schlüsselwort. Das Fahrrad bringt mich an Orte, die mit anderen Verkehrsmitteln unerreichbar sind. Anders als beim klassischen Backpacking umfahre ich bewusst die Hotspots, sehe Länder und Kulturen, wie sie wirklich sind. Authentisch. Roh. Lebensverändernd. Das Fahrrad ist das Verkehrsmittel der Armen – und in den ärmsten Ländern dieser Welt erkennen sich die Menschen in mir wieder. Diese Verbindung überwindet jede Sprachbarriere. Ja, es ist natürlich auch harte Arbeit und kein Erholungsurlaub. Fünf bis zehn Stunden täglich fahre ich durch Wind, Kälte, Schnee, Regen, Hitze und Wildnis, manchmal Tage ohne Internet – mit meinem „Haus“ auf zwei Rädern. Aber genau darin liegt der Reiz. Ich bin nicht stolz auf die Anzahl der Kilometer, sondern darauf, dass ich mich täglich neu überwinde, meine Komfortzone verlasse – und über mich hinauswachse.

 

Ich bin gewiss kein Pionier. Viele haben es vor mir getan und ich ziehe vor jeden Radreisenden meinen Helm für den Mut und das Durchhaltevermögen. Doch was meine Reise besonders macht: Ich werde in zweieinhalb Jahren sechs Kontinente durchquert haben. Die meisten fahren nach Singapur oder Kapstadt, einige entlang der Panamericana – und beenden dort ihre Tour. Aber es gibt nur eine Handvoll Menschen, die alles auf einmal versuchen. Ich bin dankbar dafür. Diese Reise ist ein Privileg – und das kostbarste Kapitel meines Lebens. Ich habe mehr über das Leben gelernt als in meiner gesamten Schulzeit. Was ich bisher in 15 Monaten alles erlebt habe und welche wahnwitzigen Geschichten und Begegnungen ich erfahren durfte findet nicht den passenden Rahmen in einem Zeitungsartikel – das wird später mal Bestandteil eines Buches. Aber ich möchte gerne einige der wichtigsten Lektionen hier teilen.

 

Doch wieso das alles? Wieso begebe ich mich freiwillig in eine Welt, die so düster und gefährlich erscheint? Dies ist Lektion 1: Die Welt ist freundlicher, als wir glauben. Ich habe in Asien eine Gastfreundschaft erlebt, die sich viele Menschen in Deutschland nicht einmal vorstellen können. Die Medien zeichnen ein verzerrtes Bild unserer Welt. Niemand klickt auf eine Schlagzeile wie: „Heute kein Krieg in Bürvenich“. Stattdessen dominieren Konflikte, Krisen, Angst. Aber da draußen – in den Bergen des Himalayas, auf den Feldwegen Südostasiens, in den Steppen Zentralasiens – habe ich etwas anderes erlebt: Menschlichkeit. Herzlichkeit. Bedingungslose Hilfsbereitschaft. Menschen, die Fremde wie Freunde behandeln und die ärmsten Menschen, die ihr letztes Essen mit einer Person teilen, die sie gerade erst auf der Straße kennengelernt haben.

Eine Szene, die das verdeutlicht, erlebte ich auf meinem Weg von Islamabad nach Lahore in Pakistan. In einem Land, in dem die meisten Menschen muslimischen Glaubens sind, ist Gastfreundschaft kein bloßes Wort, sondern gelebte Kultur. Ich wurde an manchen Tagen bis zu 200 Mal eingeladen, bekam Trinken und Essen – selbst wenn ich schon längst versorgt war. Und genau das war an diesem Tag der Fall: Ich hatte alles und wollte einfach nur meinen Schlafplatz erreichen. Und doch – ein älterer Herr auf einem Mofa fuhr neben mir auf der Autobahn heran und bestand darauf, mir ein Wasser zu kaufen. Ich versuchte höflich ablehnen, aber es war zwecklos. Also folgte ich ihm zur nächsten Tankstelle. Dort bat er mich, ihm auf Hindi einige Sätze nachzusprechen. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagte – aber sprach brav alles nach. Zehn Minuten später klatschte der ganze Tankstellenshop, Menschen lachten, umarmten mich, und ich war einfach nur völlig irritiert bis ich verstand: Ich war offenbar soeben zum Islam konvertiert. Unbewusst und ohne Absicht. Aber alle waren sich einig: Das musste gefeiert werden. Der ältere Herr meinte, Wasser sei nun nicht mehr genug. Also griff er noch zu Brot – und weil trockenes Brot nicht ausreicht, legte er ein Glas Nutella dazu. Ich versuchte höflich abzulehnen, doch er ließ sich nicht beirren. Er leerte sein gesamtes Portemonnaie auf den Tresen. Es reichte nicht. Der Rest ging aufs Haus. Einen Tag später öffnete ich das Nutellaglas. Es war verschimmelt – vermutlich seit Jahren oder Jahrzehnten im Regal gestanden, weil sich so etwas dort niemand leisten kann. Und dennoch: Ich hatte es geschenkt bekommen. Nicht weil ich etwas brauchte, sondern weil ich da war. Weil ich willkommen war.

In vielen Kulturen zählt das „Wir“ mehr als das „Ich“. Davon könnten wir uns in Deutschland gerne eine Scheibe abschneiden und würde jeder nur eine dieser Erfahrungen machen dürfen, würde niemand mehr danach rufen die Landesgrenzen zu schließen, sondern jeden mit einem Lächeln und „Welcome“ empfangen, wie ich es überall erleben durfte.

 

Ein Hauptmotiv meiner Reise war es, mit eigenen Augen zu sehen, wo der Klimawandel bereits spürbar ist. Und dies ist die nächste Lektion: Der Klimawandel ist kein weit entfernter Sturm, sondern er ist bereits da und betrifft uns alle, auch in Deutschland. Ich habe gesehen, wie in den unwirtlichsten Gegenden dieser Erde Menschen ihre Heimat verlassen, weil es zu heiß wird. Gletscher schmelzen. Böden austrocknen. Felder keine Ernte mehr tragen. Wälder brennen. Ökosysteme wie Korallenriffe sterben. Sturzfluten und Extremwetterereignisse ganze Landstriche verwüsten. Ich bin selbst knapp vier Umweltkatastrophen entkommen. In Deutschland haben wir Versicherungen, Rücklagen und Perspektiven. Menschen wie beispielsweise in Nepal verlieren alles – und sie sind am wenigsten verantwortlich. Unser Wohlstand in den industrialisierten Ländern ist nicht „verdient“. Wir wurden dort hineingeboren und überschreiten die planetaren Grenzen unserer endlichen Ressourcen. Die großen Hebel liegen bei der Industrie und der Politik, die die Rahmenbedingungen vorgeben muss – die sich jedoch aktuell leider nur recht wenig für Klimaschutz interessiert. Aber Veränderung beginnt auch bei jedem einzelnen. Denn die Summe von Millionen kleinen Anteilen ergibt am Ende auch etwas Signifikantes. Doch das erfordert Selbstreflexion und Umstellung. Umstellung bedeutet allerdings nicht automatisch Verzicht. Mal das Fahrrad statt des Autos zu nutzen hat auch gesundheitliche Vorteile und es muss vielleicht auch nicht jeden Tag Fleisch auf dem Tisch kommen. Diese Welt ist so komplex, dass man sie selbst mit allen durchgeführten wissenschaftlichen Studien nicht vollends begreifen kann. Doch die Menschen wünschen sich einfache Erklärungen und Lösungen, die gerne von Parteien wie der AFD „geliefert“ werden und die den Klimawandel bis heute leugnet. Einfach so zu leben wie bisher ist halt das Einfachste. Stattdessen werden Ausländer generalisiert und die Einwanderung erschwert. Stellen Sie sich vor wie viele Millionen, ja in ein paar Jahrzehnten Milliarden Menschen ihre Heimat verlassen müssen, weil sie in ihrem Land nicht mehr leben können aufgrund der klimatischen Veränderungen. Das ist keine Fiktion, sondern bereits Realität und die vermeintlich „einfachen“ Lösungen verschärfen die Situation nur noch mehr. Wir sollten jeden einzelnen willkommen heißen, der unseretwegen seine Heimat verlassen muss und Verantwortung für unsere Lebensweise übernehmen.

 

Ich habe über ein Jahr an dieser Reise geplant – und dennoch kommt meistens alles anders als erwartet. Weil das Leben sich nicht an Routen oder Zeitpläne hält. Überraschungen machen das Leben spannend, auch wenn sie herausfordern. Doch manchmal bricht alles weg. Manchmal wird es einsam, hart oder beängstigend. Aber gerade in diesen Momenten lernt man, was in einem steckt. Dass ein Perspektivwechsel oft hilfreich sein kann und dass fast alles lösbar ist – auch wenn es Geduld, Offenheit, Kreativität und Zeit braucht. Die beste Geschichte beginnt oft dort, wo der Plan endet.

 

Dankbarkeit versteckt sich in einfachen Dingen. Ich habe gelernt, wie wenig man eigentlich zum Leben braucht und wie viel wir tatsächlich haben. Alles, was ich in 2,5 Jahren benötige, passt in 6 Taschen, befestigt an meinem Fahrrad. Wasser, Essen, ein Dach über dem Kopf, ein Bett, sanitäre Anlagen, Strom, Bildung – für viele von uns sind diese Dinge einfach selbstverständlich. Aber sind sie das? Für die Mehrheit der Weltbevölkerung sind sie Luxus – kostbar. Vielleicht sollten wir öfter mal kurz innehalten und einfach „Danke“ sagen.

 

Insbesondere Wasser sollten wir nicht als verständlich ansehen. Wasser ist Leben. Wer mit 19 L Wasser im Gepäck bei über 40 °C durch das australische Outback fährt und feststellt, dass nur zwei von acht geplanten Wasserstellen existieren, lernt: Jeder Tropfen zählt. Und genauso verhält es sich mit der Liebe. Wer Wasser und Liebe hat, hat alles.

 

Und zu guter Letzt: Das Morgen ist nicht garantiert. Das Leben ist fragil und endlich. Wenn Sie einen Traum haben und ihn sich irgendwie erfüllen können – warten Sie nicht auf morgen. Der beste Zeitpunkt ist selten später. Der beste Zeitpunkt ist jetzt. Viele reden. Wenige handeln. Aber nur durch Handeln entsteht Wandel. Komfortzonen sind bequem, aber keine Orte für Entwicklung. Wer sich ins Ungewisse wagt, wächst – immer.

 

Dieser Planet ist einzigartig. Dass wir Leben auf der Erde haben, ist ein Wunder und unsere Lebensgrundlage ist unendlich kostbar und schützenswert. Ich bin dankbar, dass ich die weiteren nächsten 15 Monate noch Zentralamerika, Südamerika und einen Teil Afrikas entdecken und erleben darf, ehe ich von Spanien aus wieder nach Hause fahre und hoffentlich einige Menschen inspirieren konnte. Für die Zukunft habe ich noch Großes vor. Wenn Sie mehr erfahren möchten: Ich teile meine Reise auf Instagram unter @bluemiracle_official – und freue mich über jede Nachricht, jeden Gedanken, jede Frage.

 

Bis dahin: Bleiben Sie neugierig. Bleiben Sie offen. Bleiben Sie menschlich.

 

PS: Und falls Sie sich jetzt noch fragen, was bei so einer Reise eigentlich häufiger vorkommt – religiöse Transformation oder Reifenpannen? Ich kann sagen: Die Konvertierung zum Islam war eine einmalige Sache. Die Platten leider nicht – sie lassen sich aber an zwei Händen abzählen, wenn ich den einen Tag in Pakistan ausklammere, an dem ich gleich neun Platten hatte.

 

Cheers, Florian